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Freiheit beruht auf ständigem Zweifel

Aktualisiert: 30. Nov. 2022

Interessengemeinschaft Volksschauspiele zeigt „Die zwölf Geschworenen“ – Zweiakter gespickt mit allem, was Menschen umtreibt Von Roland Fink


Nußloch. Niemand muss Psychologe sein, um recht schnell mitzubekommen, wie sich das Geflecht aus Ansichten und Meinungen so ganz langsam entwickelt. Aus einem verordneten Treffen zufällig ausgewählter Bürgerinnen und Bürger ergibt sich im Laufe des Stückes eine ungeahnte, wenngleich zu erwartende Dramaturgie. Mit den „Zwölf Geschworenen“ wagte die Nußlocher Interessengemeinschaft Volksschauspiele (IGV) erstmals den Sprung von der üppig nutzbaren Freilichtbühne in die beschränkten Verhältnisse eines Innentheaters. Die Festhalle Nußloch war mit der Kapazität von 400 Stühlen belegt. Die Bühne war mit einfachen Mitteln bestückt. Ein langer Tisch, Stühle, ein Ventilator und Menschen in all ihrer sozialen und menschlichen Unterschiedlichkeit. Sie alle einte eine Aufgabe: über Leben oder Tod eines jungen Mannes zu entscheiden. Geschworene eben, wie es im System der anglikanischen Rechtsprechung üblich ist, wo Menschen ausgewählt werden, zu entscheiden und zu richten. „Die Sache ist doch klar, schuldig!“ Die Geschworene Nummer drei (Bianca Mundelsee) kämpft mit List und Tücke bis zum Ende für eine Verurteilung des 19-Jährigen, der seinen Vater erstochen haben soll. Elf zu eins für den elektrischen Stuhl, so endet die erste Abstimmungsrunde in dem miefigen, schwülen Geschworenenzimmer. „Wollen wir diese Möglichkeiten nicht noch einmal durchgehen?“ Damit bringt Nummer acht (Anke Ibele) das festgezurrte Gedankengebäude der Geschworenen ins Wanken. Die „kurze“ Beratung zieht sich in die Länge, die Dramaturgie der Handlung und der handelnden Personen nimmt zu. Zwischen Exzentrik (Brigitte Rensch) und biederem Sportfan (Harald Wieland), zwischen Zurückhaltung (Lieselotte Knecht) und Schickeria (Kirsten Wilfing-Ziegler) entspinnen sich knallharte, teils diffamierende, teils entlarvende Dialoge. Nur selten gibt es für das Publikum etwas zu lachen. Dazu ist die Lage allzu ernst. Indizien und Beweise fangen an zu bröckeln. Der Geschworenen-Obmann Nummer eins (Klaus Dotterer) wirkt besonnen, lässt erneut ein Votum zu. Sieben zu fünf, die Waage beginnt sich zu neigen, die von Soziologen als Rollenverhalten und Gruppendynamik klassifizierten Geflechte verdichten sich. Gewiss hat der Autor Reginald Rose viel, fast zu viel an Mustern in den Zweiakter gepackt. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im „freien“ Amerika lässt sich erkennen im Umgang mit der Geschworenen Nummer 11 (Bärbel Wellmann), Selbstkritik macht sich breit im Verlauf der Auseinandersetzung wie bei beim Geschworenen Nummer vier (Michael Leschikar); das reicht hin bis hin zum völligen Ignorieren und der Aufgabe der eigener Meinung. Fast ohne großen Text, alleine ausgestattet mit der Gabe der stillen Beobachtung ist Nummer 9, (Liutgard Weik) und den Schlussfolgerungen daraus, geschieht Unglaubliches. Scheinbar anteilnahmslos ist Nummer fünf (Dieter Niedermayer), schlicht beurteilt wird die Situation durch Nummer sechs (Horst Itschner). Das starre Beharren auf eine einmal gefasste Ansicht kennzeichnet den Disput. Gespickt ist das Stück mit allem, was Menschen umtreibt an Zweifel, Selbstverliebtheit, Eigennutz. Erkennbar aggressiver agieren dabei die Frauen, zurückhaltender die Männer. Bleibt einer, der noch nicht genannt wurde: Regisseur Georg Veit, künstlerischer Leiter des Kulturzentrums „Capitol“ in Mannheim. „Die IGV hat mich angesprochen, ob ich nicht spezielle für die Nußlocher dieses Stück inszeniere“, so Veit während der Pause. Viel mehr ist dem Regisseur aber nicht zu entlocken. Außer, dass er mit der Leistung des Ensembles sehr zufrieden ist. Kein Wunder: Die Auswahl an guten Darstellern ist im IGV-Amateurtheater üppig, die differenzierten Charaktere ließen sich im Nu finden. „Acht Wochen Probe, viermal die Woche, dann noch drei Tage hier in der Halle, das ist auch für uns eine neue Erfahrung“, erzählt IGV-Vorstand Heiko Richter. „Freiheit beruht auf ständigem Zweifel“, war zu hören. Die Zuschauer gehen mit diesem zwiespältigen Gefühl nach Hause. Fi Info: Weitere Aufführungstermine sind Samstag, 28 November, 14.30 und 20 Uhr und Sonntag, 29. November, 20 Uhr in der Festhalle in Nußloch. Karten unter www.igv-nussloch.de


Pressebereicht aus der RNZ Region Heidelberg vom Montag, 23. November 2015, Seite 4

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